willi gilli

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Titel der Ausstellungen von Willi Gilli – diesmal ist es: Vom Gestern oder Heute – sind regelmäßig – wie man so schön sagt – mit Vorsicht zu genießen!
Meistens sind es nämlich geistige Rutschbahnen, die mit Widerhaken versehen sind!
Gehen wir aber arglos zunächst einmal davon aus, dass er damit auf die Kontinuität anspielt, die sein Werk im neuen Jahrtausend kennzeichnet.
Das ist die Außensicht der Ausstellung – die Innensicht seines Werkes ist etwas dramatischer!
Dort treffen wir nämlich auf die vehemente Auseinandersetzung zwischen dinglichem Gegenstand und geometrischer Form,
oder kategorisch formuliert: auf die Konfrontation zwischen Figuration und Abstraktion.
Man kann dieses Aufeinandertreffen trocken als "Dialektik" bezeichnen, wie Maria Lucia Weigel dies in ihrem Essay "Von Taten und Träumen" tut,
man kann es aber auch griffiger formulieren:
In den Bildern von Willi Gilli geht es – ganz schön zur Sache!
Und zwar im Sinne des Wortes!!
Und was die Dialektik angeht – die verschieben wir auf später.

Der Maler, ebenso wie der Plastiker Gilli,
lotet die Möglichkeiten des Malerischen figürlich wie abstrakt so tief als möglich aus,
in dem er die Form mit dem Inhalt abbildlich quasi kurzschließt und scheinbare Wirklichkeiten und bildliche Wahrheiten auf einer gemeinsamen Ebene "stereotaktisch transfiguriert".
Verständlich formuliert: Form und Inhalt sind bedeutungsmäßig EGAL, solange das Kunstwerk als solches – d.h. als malerische Behauptung – funktioniert!
Um nun zu erkennen, wie Willi Gilli dies be-werk-stelligt –
beschauen wir uns am besten die Bilder selbst. Und wir sehen eindeutig:
Dies erreicht Willi Gilli mit und in der Farbe.
Farbe als Mittel und als Zweck – jedoch nicht als Selbstzweck.
Sondern als dramaturgisches Mittel, mit Hilfe dessen er das Durchscheinende und das Blickdichte ineinander verschränkt und miteinander verwebt.

Dabei kommt dem Bildaufbau als künstlerischer Melange von geplanter Konstruktion und spontaner Setzung entscheidende Bedeutung zu.

Die Gemälde von Willi Gilli sind, ebenso wie seine farbigen Papierarbeiten,
in Tempera gearbeitet, die dem Künstler nicht nur handwerkliches,
sondern zugleich auch inhaltliches Gestaltungsmittel ist.
Technisch gesehen ergibt dies "trockene", weitgehend glanzlose Bildoberflächen –
nichtsdestotrotz verfügen diese Bilder jedoch über eine schier unglaubliche Strahlkraft! Die Mischung von Pigmenten und Bindemitteln sorgt aber nicht nur für das Strahlen,
sondern ist gleichzeitig inhaltlich mit-bestimmender Arbeitsstoff.
Die Bildvorgabe, die der Künstler sich selber setzt, wird wesentlich nur vom Format der Arbeit sowie von einer beinahe flüchtig angelegten Kompositionsidee determiniert.
Durch abwechselnd deckenden und durchlässigen Farbauftrag entstehen und vergehen dann im Malprozess zahlreiche Bildwelten, bevor sich die endgültige Komposition quasi herausschält.
Dabei spielt der Zufall einerseits nur einer geringe Rolle – andererseits entwickelt sich der endgültige Plan des Malers aber erst in der Realisation des Bildes.

Das Ergebnis – wie wir es hier vor uns sehen –
zeigt sich in einem variationsreichen Bilderreigen von vehementer visueller Präsenz,
wesentlich hervorgerufen durch die herausfordernde Farbigkeit.
Diese Farbigkeit ist jedoch – ich deutete es bereits an – kein Selbstzweck,
sondern aufs Innigste mit der Formenwelt des Malers verflochten.
Wenn wir uns diese Formen, die immer wieder in den Bildern von Willi Gilli ihren Auftritt haben, näher besehen, so stellen wir fest, dass sie an sich von großer Einfachheit sind: Kreise und Bögen zumeist.
Sie folgen den Gesetzen der Geometrie und nicht dem Schwung der Hand.
Willi Gilli benutzt fast immer Schablonen und Formen um eine gleichbleibende Genauigkeit der Linienführung zu erzielen,
die nicht von der jeweiligen Tages- oder Nachtform des Malers abhängig ist.

Trotzdem wirken seine Bilder nicht kalt und schon gar nicht seelenlos.

Wie das kommt ?

Zum einen resultiert es aus der organischen Gesamtkomposition seiner Gemälde.
Zum anderen und wichtigeren aber ist dies das Ergebnis dessen was man als Farbstrategie des Künstlers bezeichnen könnte.
Sie ist der eigentliche Hort der Gillischen Bildsubjektivität.
Beide sind – und das ich wichtig – im Bild nicht voneinander zu trennen –
sie fallen quasi in eins!
Dabei erwächst das organische Moment der Bilder – im Sinne des Wortes –
aus der Spannungs- und Variationsbreite der farblichen wie der Formenüberlagerungen im Aufbau der Bildkomposition.
Die Lebendigkeit der Bilder von Willi Gilli hat hier ihre Wurzel!
Und das ist kein Klischee sondern wissenschaftliches Faktum:
denn Leben bedeutet ja vom Grund her Bewegung und Veränderung.
Im malerischen Kompositionsprozess werden so aus Kreisen Kugeln, aus Streifen werden Stäbe, scheinbar Fließendes wird stockend –
und "natürlich" auch umgekehrt –
vor allem aber: zugleich!
So entstehen diese Bilder, die stellenweise einerseits räumlich, andererseits aber auch flächig wirken und die im Blick nur intuitiv, jedoch nicht logisch greifbar sind. Und so hat jedes der Bilder von Willi Gilli seinen eigenen Farb- und Formen- rhythmus – wer sich auf ihn einlässt,
kann das Bild und sein Geheimnis quasi spüren.
Doch gerade dieser Rhythmus stellt sich nicht von allein ein –
er fällt dem Künstler nicht in den Schoß!
Denn wenn die scheinbar freie Farbe auf die Vielzahl von formalen Möglichkeiten trifft muss das Gemälde nicht nur aufgebaut, es muss quasi organisiert werden.
Wesentliches Mittel dieser Organisation sind mittels Schablonen angelegte und verteilte Muster von Punkt- und Linien- seltener auch von Gittermustern.

Es ist das kompositorische Ineinander das einem möglichen Durcheinander entgegenwirkt und das den Betrachter zutiefst irritiert aber ihn zugleich eben auch fasziniert.

Als malerisches Ergebnis erscheint dann das, was ich das "abstrakte Stillleben" nenne –
wobei der Künstler die natürliche Verwurzelung der Abstraktion in der Figuration geradezu herausfordernd betont.
Ein griffiges Beispiel dafür ist "Oxymoron Blendwerk gebläht", bei dem abstrakte Linien in eins gehen mit durchaus organisch anmutenden – bohnenähnlichen – Volumina.
Dass bei diesen Stillleben von Statik,
vor allem im übertragenen Sinne von Langeweile, keine Spur ist,
sondern dass diese Bilder vielmehr unglaublich spannungsgeladen sind,
ist auf zwei verschiedene künstlerische Taktiken zurückzuführen.
Sie zielen beide darauf ab, den Betrachter zu – überlisten!
Dies geschieht zum einen durch die ebenso komplizierten wie raffinierten Bildkompositionen aus synchron und asynchron verlaufenden und ineinander greifenden Kreisen, Bögen und Linien von Schatten und von Lichtern.
Sie lassen – und das ist entscheidend –
sie lassen beim Betrachter Bewegungsideen aufkommen, obwohl diese Bilder –
eben im Sinne des Stilllebens – doch völlig in sich ruhen.
Der entscheidende Grund für die tiefgründige Bildspannung liegt aber in der Permutation der Farbstruktur begründet.
Mittels ihrer gelingt es dem Künstler im Auge des Betrachters einzigartige,
raumsimulierende und pulsierende Effekte hervorzurufen.
Diese, wie ich sie nenne "Perforation des Blickes " stellt sich allerdings erst dann ein, wenn man diese Bilder über einige Zeit hinweg intensiv betrachtet.
Das "abstrakte Stillleben" bewegt sich dann "konkret" – im Auge des Betrachters!

Doch gibt es im Werk von Willi Gilli nicht nur scheinbare sondern auch ganz reale,
ja an-faß-bare mehrdimensionale Wechselwirkungen –
in seinen Skulpturen nämlich.

Würde man – was nahe liegt – diese abstrakten Holzskulpturen Willi Gillis Verlängerungen seiner Malerei in den Raum nennen,
so griffe man, im Sinne des Wortes, zu kurz!
Tatsächlich sind diese Skulpturen, trotz ihrer offensichtlichen thematischen Verwandtschaftsbeziehungen zu seinen Bildern,
gänzlich eigenständige Werke.
Dies zeigt sich besonders in der intensiven und sehr speziellen, ja zutiefst individuellen Materialbehandlung durch den Maler als Bildhauer.
Diese Besonderheit kommt zum Ausdruck im spannungsreichen Verhältnis von poliertem, gemasertem zum deckend und stark farbig bemaltem Holz,
sowie im Wechsel von (Tiefen-)Glanz und Leuchtkraft zur Mattigkeit.
Der Künstler versucht diese Spannung in einigen Werken –
wir sehen sie hier vor uns –
durch den Einsatz von Bronzeapplikationen noch zu steigern.

Die Wechselwirkungen zwischen Malerei und Plastik gehen ähnlich tief wie das Assoziations- und Imaginationspotential der Skulpturen selbst.
Denn wenn es den (ersten) Eindruck macht, als würde Willi Gilli seine Skulpturen in seinen Gemälden thematisieren, so stimmt das nur marginal –
tatsächlich ist diese Beziehung viel komplexer.
Ihm geht es nicht um die Vorbereitung im Sinne eines gemalten Arbeitsentwurfes oder um eine Nachbereitung im Sinne der zwei-dimensionalen Abbildung eines dreidimensionalen Objektes, sondern um die wechselseitige Durchdringung von Malerei und Skulptur, nicht nur auf der thematischen,
sondern auf der strukturellen Ebene.
Die Permutation – von der ich sprach – wird damit um eine weitere Dimension erweitert.

Bild und Skulptur können in ihrem jeweiligen Metier ihre Stärken zur Geltung bringen – und korrespondieren noch zusätzlich auf einer weiteren Ebene miteinander.

Kehren wir – zum Schluss – noch einmal an den Anfang zurück.

Dort zitierte ich den Begriff der Dialektik in Bezug auf die Kunst von Willi Gilli.
Er klingt so arg- ja harmlos, doch er ist –
was das Verhältnis von Abstraktion und Figuration in seinen Bildern angeht –
nicht unproblematisch, ganz im Gegenteil.
Denn anders als die wesentlich statischen Begriffe Dichotomie, Duplizität oder auch Simultanität bezeichnet der Begriff Dialektik ja einen wahrhaften Prozess.

Die These – sagen wir: Figürlichkeit –
und ihre Antithese – sagen wir: Abstraktion –
sollen im dialektischen Prozess auf einer höheren Ebene zur Synthese streben.
Das ist kein theoretisches BlaBla, sondern das ist –
der Stein der Weisen eines jeden ernstzunehmenden Malers:
der Wunsch nach einem Bild nämlich das wahrhaftig zugleich figurativ und abstrakt ist.
Lieber Willi: Vom Gestern zum Heute ist ein guter Anfang getan –
das Alterswerk kann behände beginnen!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

© Adolf H. Kerkhoff 2008

Rede Willi Gilli – Galerie Steiner, Bad Rappenau 24.2.2008